In Retrospect
Interview with the organizers of the project (in German)
Vielleicht stellt ihr euch erst mal kurz vor.
Martin Kostezer:
Ich bin Kulturwissenschaftler und arbeite als freier Medienredakteur vorwiegend im Bildungsbereich. 1994 bin ich als Student von Zürich nach Berlin gezogen. Seither ist die Stadt ein Teil von mir geworden. Mit Stimmen in der Stadt habe ich entdeckt, wie reizvoll es ist, selbst an ihrer Gestaltung mitzuwirken. Ich habe Lust, das weiter zu tun.
Christoph Weber:
Hallo, Ich bin Christoph. Ich lebe seit 1994 in Berlin, arbeite seit ca. 8 Jahren als Assistenzarzt im Auguste-Viktoria-Klinikum auf den sogenannten HIV-Stationen und begleite seit 2003 die Krankenreise der Berliner Aids-Hilfe e.V. Auf der Krankenreise haben die ersten Begegnungen mit einigen Protagonisten stattgefunden und seit 1996 sind dabei auch die ersten Interviews entstanden.
Hili Perlson:
Ich bin in Haifa, Israel, geboren, lebe seit 11 Jahren in Berlin. M.A. in Amerikanistik, Französisch und Medienwissenschaften. Ich bin Journalistin, schreibe über Kunst und Mode für sleek magazine und arbeite in einer Kunst-Galerie.
Nicole Schöner:
Ich bin Nicole. Lebe seit 87 in Berlin. Arbeite als PR-Agentin und Managerin im Künstlerbereich.
Wie groß war der Kreis von Menschen, die unmittelbar am Projekt mitgearbeitet haben? Seid ihr schon lange in der HIV-Arbeit engagiert?
Nicole: Die Kerngruppe bestand aus 4 Leuten. Der engere Kreis bestand aus geschätzt mindestens 10 weiteren Personen! Ich persönlich habe mich vorher nie in der HIV-Arbeit engagiert.
Martin: Unser Team ist mit der Entwicklung des Projekts auf deutlich über 20 Köpfe gewachsen. Außerdem konnten wir ein Netzwerk von Menschen aktivieren, die uns vom Erfahrungsaustausch bis zum Schraubendrehen zur Seite gestanden haben. Ich selbst bin ohne Erfahrungshintergrund in der HIV-Arbeit in das Projekt eingestiegen.
Hili: Für mich war es auch das erste Mal, dass ich mich in diesem Bereich engagiert habe.
Christoph: Das Team bestand aus ganz unterschiedlichen Menschen. Ein Teil kommt aus der Arbeit mit HIV, ein anderer Teil hatte vorher noch wenig oder nie was in diesem Rahmen gemacht. Ich selber habe mich von Berufs wegen längere Zeit mit dem Thema befasst.
Welche Rolle spielt die Erkrankung in eurem Lebensumfeld und was hat euch bewogen, 2010 ein Projekt mit Schwerpunkt HIV umzusetzen?
Martin: Unter meinen Freunden und Bekannten sind viele mit HIV infiziert. Trotzdem gab es – vor Stimmen in der Stadt – nur wenig Gespräch über das Thema. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass es den meisten gesundheitlich gut geht. Als ich anfing, mich mit den Interviews zu beschäftigen, die Christoph auf der Krankenreise der Berliner Aids-Hilfe geführt hatte, veränderte sich mein Blick auf die HIV-Infektion.
Hili: Viele Freunde und Bekannte sind mit HIV infiziert, reden aber normalerweise kaum darüber. Dieses Schweigen hat mich zum Nachdenken gebracht und dazu bewogen, an dem Projekt teilzunehmen. Ich wollte wissen, was diejenigen, die darüber reden möchten, zu sagen haben.
Nicole: Bei mir ist es anders. Die Erkrankung spielt in meinem Umfeld nur eine kleine Rolle. Ich kenne einige HIV-Infizierte, allerdings nicht in meinem ganz nahen Umfeld, so dass ich sie und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme nicht tagtäglich mitbekomme. Es ist eigentlich im Gegenteil so, dass HIV/Aids in meinem heterosexuellen Umfeld fast gar keine Rolle mehr spielt, und das war ein Grund, der mich auch dazu bewogen hat, bei dem Projekt mitzumachen.
Martin: Es wurde mir deutlich, dass das Nicht-Sprechen auch Teil einer gesellschaftlichen Disposition ist, die HIV und Aids nur noch bestimmte Stellen im Diskurs zugesteht. In diesem Setting ist HIV mit einem Verantwortungsbewusstsein gegenüber Sexualpartnern und mit einem gesunden Lebensstil verknüpft thematisierbar, aber nicht etwa als Stigma oder Gegenstand von Diskriminierung. Es ist also quasi aus den gesellschaftspolitischen Seiten entfernt und in die Lifestyle-Sektion verlegt worden. Zu Unrecht, wie die Lebensgeschichten unserer Stimmen zeigen. Und das ist einer der Gründe, warum ich mich für dieses Projekt entschieden habe.
Christoph: Bei mir ist es ähnlich wie bei Hili und Martin. In meinem persönlichen Umfeld habe ich viele Freunde, die mit HIV infiziert oder an Aids erkrankt sind. Über die Arbeit bin ich ja täglich damit konfrontiert und konnte die Diskussionen um die Erkrankung relativ nah miterleben. Es wurde mir dann ziemlich bald klar: Je besser die medizinischen Möglichkeiten wurden – und es vielen überhaupt möglich wird, mit der Erkrankung zu leben –, desto weniger wurde über die Schwierigkeiten gesprochen, die sich aus der Situation ergeben. Dann gab es das Bundespositiventreffen 2009, was sich explizit dafür ausgesprochen hat, dass die Lebenssituationen mehr in den Fokus gestellt werden sollen. Das passte dann einfach super zusammen.
Auf eurer Webseite kann man lesen, dass die Interviews auf der Krankenreise der Berliner Aids-Hilfe bzw. in deren Nachgang entstanden sind. Welche Überlegungen haben euch bewogen, die Interviews als Audioprojekt umzusetzen? War es eine bewusste Entscheidung, nicht mit Bildern zu arbeiten, und wenn ja, warum?
Hili: Ich arbeite sehr viel mit Bildern, beschäftige mich von Berufs wegen tagtäglich mit der Kultur des Visuellen. Die mediale Bildsprache schreibt etwas vor, das einen gewissen sensationellen Reiz innehat. Das passt nicht (mehr) zum Thema und ist auch ein Grund, warum Aids in den Medien keine große Bedeutung mehr hat. Es war an der Zeit für einen Perspektivenwechsel.
Martin: Die Interviews von der Krankenreise standen am Anfang des Projekts. Es sind Dokumente, die einen sehr persönlichen Einblick in Biografien gewähren. Die Offenheit, mit der die Interviewten aus ihrem Leben berichten, ist einzigartig. Vieles von dem, was sie zu erzählen haben, hat man so in der Öffentlichkeit bisher nicht gehört. Aber es sind auch die Zwischentöne, die Pausen, das Zögern in der Stimme, die Weglassungen, die dem Zuhörer einen Raum eröffnen, den nur das Audio-Medium vermitteln kann. Während der Entwicklung des Projekts haben wir mehrere Male zwischen Originalton und eingesprochenen Fassungen geschwankt. Es gab die Befürchtung, dass die originalen Stimmen mit all ihren Unvollkommenheiten vom Lautsprecher dem Straßenlärm nicht standhalten könnten. Im Rückblick sind wir sehr froh, dass wir uns am Ende für die Originale entschieden haben, weil gerade in den Unebenheiten einer Stimme so unheimlich viel von dem transportiert wird, was einen Menschen und seine Geschichte ausmacht.
Christoph: Mich hat an den Menschen fasziniert, die ich zusammen mit Lars Vestergaard von der Berliner Aids-Hilfe e.V. interviewt habe, dass die so eine ganz besondere Lebensstärke besitzen. Und das Seltsame war, dass man ihnen das nicht ansieht. Daher fand ich das anfänglich nur logisch, dass wir gegen alle Gewohnheiten auf das Sprechen bzw. Zuhören fokussieren wollten. Da war es nahe liegend, einfach auf die Bilder zunächst zu verzichten.
Martin: Wir kommen gar nicht darum herum, uns Bilder zu machen von den Menschen, über die wir etwas erfahren. Den Bildern, die in unserem Kopf entstehen und die nicht über die Netzhaut vermittelt werden, wohnt oft eine besondere, empathische Kraft ein. Wenn ich einer Stimme zuhöre ohne das Gesicht des Menschen zu sehen, werde ich ganz andere Dinge wahrnehmen, als wenn ich dem Menschen dabei in die Augen schauen kann oder mir ein Bild von ihm gezeigt wird. Bei Stimmen in der Stadt standen für uns die Intensität und die Intimität des gesprochenen Wortes in den Interviews im Vordergrund. Deshalb war es uns von Anfang an klar, dass unsere Installation eine Begegnung allein über die Stimme schaffen soll.
Christoph: Darüber hinaus gab es ja in der HIV/Aids-Bewegung in den frühen 90ern den Slogan »HIV/Aids ein Gesicht geben«. Da ging es um das Anschaulichmachen einer Erkrankung. Seit Einführung der Medikamente gegen das Virus Mitte der 90er ist der Diskurs in den Medien nahezu vollständig von der Medizin vereinnahmt worden und spätestens seit den 2000er-Jahren wird nur über die infizierten Menschen gesprochen, aber wenig mit Ihnen. Jetzt sind aber andere Zeiten, wir wollten ja nicht die alten Bilder von damals rekrutieren, wir hatten die Vorstellung, dass wir jetzt sogar gegen die alten Bilder anarbeiten müssen, und durch das Fokussieren auf das gesprochene Wort wechselten wir ganz praktisch die Perspektive. So verstehe ich das, was Hili vorhin gesagt hat. In diesem Projekt sollten Menschen mit HIV/Aids eine Stimme haben mit ihren Erfahrungen, Haltungen und Hoffnungen, also wieder Subjekt des Diskurses werden.
Hili: Ja, genau.
Martin: Erst bei der Ausgestaltung der Internetseite haben wir uns für das Angebot von Daniel Rosenthal entschieden, einige der Interviews mit Fotoreportagen zu ergänzen. Die Bilder, die dabei entstanden sind, erzählen eine eigene Geschichte, die natürlich mit jener zu tun hat, welche im Interview zu hören ist. Daniel Rosenthal hat drei unserer Interviewten jeweils einen ganzen Tag lang mit der Kamera begleitet. Wenn man sich diese Interviews jetzt zusammen mit den Bildern auf unserer Webseite anschaut, wird man mit den drei Menschen nochmals eine neue Begegnung machen. Es wäre eigentlich spannend herauszufinden, was dabei geschieht und in welcher Weise sich die bebilderten Interviews in der Wahrnehmung von den vier anderen unterscheiden, die als reine Audios vorliegen.
Christoph: Vielleicht sollte man ergänzend erwähnen, dass natürlich alle Protagonisten angefragt wurden, ob sie sich fotografieren lassen wollen. Wobei ja Gerd und Paul bereits 2008 bzw. 2009 gestorben sind. Die Bereitschaft der drei, die sich für das Fotografieren entschieden haben, kam erst im Verlauf der Vorbereitungszeit, als die Interviews schon abgeschlossen waren. Ich behaupte, die Möglichkeit inkognito zu sprechen hat überhaupt erst so offene Interviews möglich gemacht. Der Mut für Bilder kam später. Da kommt jetzt auch noch ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich der Schutz für unsere Interviewpartner. Deswegen wollte Max weder im Bild noch mit Originalton dargestellt werden. Er wollte über seine Erfahrungen sprechen, aber nicht seine berufliche Perspektive aufs Spiel setzen. Auch das war am Ende ein Grund, warum wir Bilder nur eingeschränkt eingesetzt haben.
Ist das nicht eigentlich ein Projekt für den Sommer? Was hat euch gereizt, das Projekt mit dem Welt-Aids-Tag zu verknüpfen?
Hili: Das Datum stand irgendwie nicht zur Debatte. Wir wollten das Projekt mit dem Welt-Aids-Tag terminlich verknüpfen.
Martin: Der Welt-Aids-Tag ist eine Gelegenheit, auf die Lebenssituationen von Menschen mit HIV und Aids aufmerksam zu machen. Zu diesem Tag gibt es eine große Medien-Aufmerksamkeit für das Thema. Auch wir monieren, dass es mit einem jährlich wiederkehrenden Ritual nicht getan ist. Auf der anderen Seite macht es doch durchaus Sinn, das Aufmerksamkeitspotenzial dieses Tages zu nutzen und etwas anzubieten, was sonst nicht zu hören oder zu lesen ist.
Christoph: Dazu kommt, dass das Thema ja so eine Nicht-Repräsentanz im TV oder den Medien allgemein besitzt, so dass wir mit unserem eher neueren Ansatz erst mal die Lustlosigkeit der Medien hätten durchbrechen müssen, das Thema überhaupt anzufassen. Das stellt sich am Welt-Aids-Tag anders dar. Irgendwas müssen die Medien zu diesem Anlass bringen und da dachten wir, dass den Stimmen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden würde, auch medial.
Martin: In der Regel wird über HIV und Aids berichtet als Präventionsauftrag, als juristischer Skandal oder als geopolitische Katastrophe. Es wird aber wenig jenen zugehört, die damit leben, und am allerwenigsten denjenigen, die trotz der verbesserten Medikamente erkranken, die psychisch an ihrer Infektion leiden oder soziale Ausgrenzung erleben. Dies ist die Lücke, in der wir Stimmen in der Stadt angesiedelt haben. Dass das Projekt in einer anderen Jahreszeit auf eine ähnlich gute Medienresonanz gestoßen wäre, bezweifle ich. Warme Sommertage hätten natürlich einige Vorteile für ein Audioprojekt im Freien. Auf der anderen Seite hatte die Aktion gerade durch das Ausharren der Stimmen in den arktischen Winternächten rund um den 1. Dezember 2010 einen einprägsamen Charakter. Interessanterweise konnten wir gerade in den Nächten ein besonders interessiertes Publikum an unseren Hörstationen ausmachen.
Nicole: Ich bin der Meinung, dass HIV/Aids kein Schönwetterthema ist, man kann sicher auch bei Regen, Schnee und Kälte sich die Zeit nehmen und einige Sekunden oder Minuten zuhören. Die Interviews konnte man ja in voller Länge dann auf der Webseite weiterhören. Die Aufmerksamkeit zum oder rund um den Welt-Aids-Tag ist schon um ein Vielfaches größer, ein gutes Umfeld, wie ich finde.
Christoph: Und im Sommer hätte man uns zum Vorwurf gemacht, warum wir mit diesen Geschichten die gute Sommerstimmung vermiesen wollen. Dafür würde es ja den Welt-Aids-Tag geben. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich finde, es hat auch eine eigentümliche Stimmung gegeben durch die Kälte und den Schnee. Die Stadt war viel ruhiger und besinnlicher, es wird früh dunkel und das Projekt hat am besten im Dunkeln funktioniert. Das hatte schon was ganz Besonderes.
Wie habt ihr die Orte im Stadtraum bestimmt, war das eher zufällig oder hattet ihr bestimmte Kriterien für die Auswahl?
Christoph: Das hat sich am Ende als schwieriger herausgestellt, als wir anfänglich dachten. Die Orte sollten zentral sein, es mussten die technischen Gegebenheiten vorhanden sein und eine bestimmte Intimität herstellbar sein. Zentrale Orte zu finden war leicht. Große Plätze, wichtige Straßen. Es zeigte sich dann aber, dass die Frage der Intimität und der technischen Gegebenheiten nicht immer dort möglich waren, wo wir gerne stattfinden wollten. Wir haben versucht, tagsüber zu beobachten, wie die Ströme der Passanten verlaufen, wo kleine »Ruhepunkte« oder »Verweilorte« automatisch entstehen. Da wir ja Laternenmasten als Aufhängung benutzten, suchten wir nach Orten und Laternenmasten in der Nähe von Bushaltestellen, Ampeln oder Orten, wo wir einen interessanten Stadtblick ausmachen konnten. Das hat auch nicht immer so gut funktioniert, wie wir uns das gedacht hatten. Das lag einerseits an den Auflagen durch die Behörden, die wir erst erhielten, als wir die Orte beantragt hatten, andererseits auch daran, dass die Stadt im Dunkeln anders funktioniert als im Hellen. Im Sommer, also zu der Zeit, als wir die Orte bestimmten, anders als im Winter. Letztendlich waren Orte, die wir als problematisch ansahen, ganz besonders geeignet und andere weniger.
Wie hat das Zusammenspiel von Installationen im öffentlichen Raum, Webseite und Berichterstattung in den Medien funktioniert?
Nicole: Ich finde, sehr gut! Wir haben in allen drei Bereichen ein sehr gutes Feedback bekommen. Die Radiostationen waren sicher pressemäßig am wichtigsten und wir haben auf allen Sendern stattgefunden. Aber auch Print, TV und Internet haben viel und positiv weit über die Grenzen Berlins hinaus berichtet. Unsere Webseite wurde oft und viel angeklickt genauso wie unser Facebookprofil. Die Hörstationen wurden – trotz Kälte – gut besucht!
Martin: Dem eigentlichen Projektzeitraum Ende November/Anfang Dezember 2010 ist eine lange Vorbereitungsphase vorausgegangen, während der wir Netzwerke geknüpft und über das Projekt informiert haben. Das war nur schon deswegen nötig, weil wir für die Finanzierung sorgen mussten. Diese Vorarbeit und die Einbindung unserer Unterstützer/innen hat sich dann ausgezahlt, als Stimmen in der Stadt an den Start ging. Schon vor der Vernissage erhielten wir zahlreiche Interview-Anfragen und dann nochmals zum 1. Dezember. Fast alle Berliner Radiosender berichteten über die Aktion, manche räumten ihr längere Gesprächsbeiträge ein.
Christoph: Besonders gefreut hat uns, dass tatsächlich die Interviews und die Themen in den Mittelpunkt gerückt sind. Es ging weniger um die Macher des Projektes als um die Inhalte, die durch die Interviewten gesetzt wurden. Wir wurden zu unserer Motivation und zur Idee befragt, für die eigentlichen Themen Isolation, Ausgrenzung, Diskriminierung dann aber Auszüge aus den Interviews zitiert. Der Teil unseres Konzeptes ist auf alle Fälle aufgegangen.
Martin: Die zwei führenden deutschen Presse-Agenturen boten gut recherchierte Artikel über Stimmen in der Stadt an, die in zahlreichen Print- und Online-Medien veröffentlicht wurden. Gleichzeitig konnten wir einen großen Zuwachs von Klicks auf unserer Webseite feststellen. Sie kamen übrigens aus der ganzen Welt.
Hili: Auf der Webseite hatten wir Klicks aus über 40 Ländern! Das war toll!
Martin: Unter den Journalisten unserer Pressekonferenz waren auch Vertreter von Deutsche Welle international und Agence France-Presse. Deren Berichte wurden offensichtlich auf allen Kontinenten gehört und gelesen. Am wenigsten genau lässt sich die Resonanz des Projekts im öffentlichen Raum quantifizieren. Aber mir Sicherheit lässt sich sagen, dass die Darbietungsform mit den Lautsprechern unter freiem Himmel ihren Teil zur Aufmerksamkeit beigetragen hat. Insofern hat das Zusammenspiel der verschiedenen Kanäle sehr gut funktioniert.
Hili: Ja, find ich auch.
Christoph: Unsere Erwartungen wurden eigentlich übertroffen. Wir hatten ja nicht erwartet, dass Menschen unter den Lautsprechern campieren würden. Daher war das total interessant zu sehen, dass Einzelne trotz Kälte 5 Minuten stehen geblieben sind und gelauscht haben. Abends konnte man immer wieder kleine Gruppen sehen, die sich in den Lichtkegel stellten um zuzuhören. Das war toll zu sehen und das an fast allen Orten.
Glaubt ihr, dass das Projekt angenommen wurde? Wenn ja, warum? Welche Rückmeldungen hab ihr zu Stimmen in der Stadt erhalten?
Nicole: Das Projekt wurde sehr gut angenommen. Einen in Zahlen messbaren Erfolg sehen wir durch die Hits auf der Webseite. Aber auch durch das Feedback von Freunden oder das, was Menschen auf unserer Webseite geschrieben haben. Das Projekt war in dem Stil bisher einzigartig und hat viele Leute begeistert. Vor allem, das Thema HIV/Aids einmal anders zu betrachten und eine Kampagne mal anders aufzuziehen.
Hili: Ich finde, SidS hat es durch das gelungene Konzept geschafft, intime Lebensgeschichten von Menschen einem breiten Publikum näherzubringen ohne dabei den persönlichen, individuellen Charakter des Originalmaterials zu verlieren.
Martin: Gegen Ende der Aktion, noch vor dem Abbau der Hörstationen, haben wir uns die Frage gestellt, ob Stimmen in der Stadt erfolgreich gewesen sei. Für ein Projekt mit einer so offenen Ausrichtung lässt sich diese Frage gar nicht so leicht beantworten. Unser erstes Fazit war: Ja, es war ein Erfolg. Aber woran kann man das festmachen? Es gibt natürlich die Rückmeldungen, die uns erreicht haben. Die Witterungsbedingungen erlaubten keine aussagekräftigen Befragungen des Publikums. Wenn wir das Augenmerk auf die Medien richten, stellt sich die Sache anders dar. Hier darf man – auch in Anbetracht einiger kritischen Stimmen – von einer sehr guten Annahme des Projekts sprechen.
Christoph: Also ich denke, wir können sagen, dass die Aktion ungewöhnlich genug war und einige Menschen allein die Darbietung interessant genug fanden. Die Interviews waren ja pur, kein Kommentar, keine Belehrung, keine vorgegebenen Schlussfolgerungen. Wer sich nicht dafür interessiert, geht weiter.
Wir waren so mit der Planung und Umsetzung beschäftigt, dass wir uns gar keine rechte Vorstellung davon gemacht haben, wie Erfolg aussieht, ab wann wir sagen: Die Aktion war ein Erfolg. Für mich war die Frage entscheidend: Bleiben einige Leute stehen und hören zu, schaffen wir eine Irritation oder nicht? Ich war dann echt begeistert, als wir sahen, dass so viele Menschen neugierig zuhören. Da hab ich dann gedacht, das klappt, das Konzept geht auf. Da die Form neu war, mussten wir ja nicht gefällig sein, keine Massen bedienen. Wir haben ‘ne Möglichkeit geschaffen und freuen uns, dass sie wahrgenommen wurde.
Gibt es auch Punkte, die ihr rückblickend an eurem Projekt kritisieren oder verbessern würdet?
Hili: Bei der Gestaltung der Stationen haben wir während der Aktion gemerkt, dass wir ein bisschen mehr Information geben sollten, und diese Erkenntnis auch gleich in Tat umgesetzt, indem wir kleine Informationstäfelchen angebracht haben, dass es sich hier um sieben Interviews mit HIV-infizierten Menschen handelt und dass diese Aktion im Rahmen des Welt-Aids-Tages 2010 stattfindet.
Martin: Ein großes Online-Magazin titelte seinen Bericht über Stimmen in der Stadt mit »Paul spricht in den Wind«. Die Kritik des Journalisten bestand darin, dass die Aktion zwar gut gemeint war, aber am Publikum vorbeiging, weil sich niemand in die Kälte und den Lärm stellen wollte, um den Stimmen zu lauschen. Es ist nicht zu widerlegen, dass die Mehrzahl der Passanten an den Hörstationen unberührt vorbeiging. Das könnte man vermutlich auch für alle anderen Formen von Installationen im öffentlichen Raum, sei es nun Kunst oder Kampagne, feststellen.
Sicher wäre es reizvoll gewesen, das Spiel noch weiterzutreiben. Zum Beispiel Bushaltestellen und U-Bahnhöfe zu beschallen, wo man sich sowieso zum Warten aufhält. Oder auch andere Innenräume mit einzubeziehen, die mehr Intimität und Wärme gewähren. Bei einer Wiederholung müsste man sich auf jeden Fall nochmals Gedanken machen, wie man die Orte visuell markiert.
Nicht sehr dauerhaft waren unsere Bodenaufkleber, die sich durch Kälte und Nässe vom Boden lösten. Da müsste man eine andere Lösung finden. Man hätte an den Hörstationen mehr Information über das Projekt anbringen können. Auf entsprechende Hinweise haben wir, wie Hili schon erwähnt hat, am ersten Wochenende der Laufzeit mit einer Infoplakette an allen Hörstationen reagiert.
Christoph: Okay, die Bodenbeläge waren irgendwie nur kurzzeitig toll, dann lösten sie sich einfach ab. Aber zum Thema »mehr Information« finde ich, dass wir durch das Anbringen von diesen »Täfelchen« eigentlich genug Informationen gegeben haben. Ich glaube, dass die Hörstationen visuell und stilistisch richtig gut waren, so minimalistisch, eher weniger aufdringlich. Wir hatten uns ja auch gegen rote Schleifen als Symbol entschieden, weil wir nicht das »alte Muster« bedienen wollten. Jeder, der wissen wollte, was aus den Lautsprechern kommt, musste erst mal zuhören. Kein bekanntes Zeichen hat darauf hingewiesen, dass es sich hier um HIV-Geschichten handelt. Damit konnte auch niemand vorbeilaufen und sagen: »Kenne ich schon.«
Martin: Wir haben gerade auch für die wenig erklärende Darbietungsform einige gute Kritiken erhalten. Sich hinzustellen und zuzuhören kam auf diese Weise nicht einem öffentlichen Bekenntnis zur Aids-Solidarität oder Ähnlichem nahe, sondern war für jeden Neugierigen ohne Schwellenangst möglich. Eine abschließende Bewertung des Projekts lässt sich wohl erst mit mehr zeitlichem Abstand anstellen. Dann wird man sehen, ob es ein längerfristiges Echo auf die Stimmen gibt.